Glosse zum Thema „Homeschooling“: Die Generation, in der das Zurücklassen abgeschafft wurde

Elia Cirfera und Theo Spiegel

Glosse zum Thema „Homeschooling“:

Die Generation, in der das Zurücklassen abgeschafft wurde

Wir schreiben den 16. März 2045. Der erste Homeschooling-Tag jährt sich nunmehr zum 25. Mal. Wenn ich als ehemaliger Schüler meiner heute 13-Jährigen Tochter von den damaligen Unterrichtseinschränkungen erzähle, kann sie nur mit dem Kopf schütteln. 

Damals war der Schulserver nicht selten überfordert und stellte seinen Dienst immer wieder ein. Vor einem Vierteljahrhundert konnten auch einige meiner Klassenkameraden der Versuchung, beim Homeschooling einfach abzutauchen, nicht widerstehen. Diese Gefahr besteht nun nicht mehr; denn wer wann und wo gefehlt hat, lässt sich mit einer speziellen Software genau nachverfolgen. Datenschutz wurde in diesem System als überholt erkannt.

Wir witzelten einst, dass der Brieftaubenverkehr vermutlich zuverlässiger sei als der Datenaustausch über das Schulportal des Erzbistums Paderborn, weil erstere seltener abstürzen. Dabei war uns noch nicht bewusst, dass das Homeschooling erst der Anfang einer grundlegenden gesellschaftlichen Reform sein würde.

Zeitraubende Serverausfälle und Internetprobleme bestimmen heute nicht mehr den Alltag meiner Tochter im Homeschooling. Sie muss – anders als wir früher, als die in der Corona-Ödnis online verbrachte Zeit kaum eine Rolle spielte – besonders effizient arbeiten. Denn aufgrund der zunehmenden Ressourcenknappheit – vor allem im Energiebereich – hat die Regierung beschlossen, die persönliche Internetnutzungszeit (kurz: pINZ) auf drei Stunden täglich zu begrenzen.

Vor 25 Jahren fehlten mir meine Klassenkameraden und ich hatte zunächst Schwierigkeiten, meine Motivation für die Bildung zu Hause aufrecht zu erhalten. Doch schon bald erkannten Wissenschaftler, dass – trotz damals populär gewordenen Klagens der ganzen Nation – abgeschottetes Lernen bereits für Schüler ab etwa neun Jahren die beste Methode ist, neue Synapsen in ihren Gehirnen zu bilden. Noch wirksamer ist diese Strategie dank der begrenzten pINZ. Meine Tochter arbeitet daher nur noch allein – seit schon mehr als vier Jahren. Das Homeschooling wurde so weit perfektioniert, dass sie hierdurch zwei Klassen überspringen konnte. Aber auch diejenigen Schüler, die auf die Bildung ihrer Synapsen keinen Wert legen – und sei es nur, weil sie noch nie von ihnen gehört haben – brauchen sich keine Sorgen zu machen. Denn wie schon vor 25 Jahren gilt immer noch der Leitspruch: „Niemand wird zurückgelassen!“

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